
Genese einer Liste
Die Lehre für die Wirtschaft von morgen sollte nicht nur auf den Texten von gestern beruhen, so der Gedankenfunke, der die “Schlüsseltexte für die Wirtschaft von morgen” als Projekt entzündete. Um aus dieser Feststellung ein positives Bild und konkrete Materialien zu entwickeln, haben wir uns als Denkende aus verschiedenen Disziplinen und Hintergründen zusammengefunden.
Das Projektteam und unsere Fragen
Wir, das sind Peter Heller von der Canopus Stiftung und Stephan Panther und Elsa Egerer von der Hochschule für Gesellschaftsgestaltung in Koblenz. Die Idee einer Liste neuer potenzieller Klassiker leitete uns zunächst als vages Bild, das wir gemeinsam auch gerade durch heterogene Perspektiven schärfen konnten.
Wegweisend waren hierbei Fragen wie: Was ist die “Wirtschaft von morgen”? Was definiert einen Klassiker? Welches Ökonomie- oder Ökonomikverständnis teilen wir? Welche gesellschaftlichen Themen gilt es zu adressieren? Wie gehen wir mit Diskursmacht und Marginalisierung um? Welche Bedarfe bringen Lernende und Lehrende mit?
Die folgenden Bücherlisten sind das Ergebnis systematischer Recherchen und gleichzeitig einer großen Portion Mut zur subjektiven Perspektive. Das Qualitätskriterium für ein gutes Buch gibt es nicht. Glücklicherweise. Bücher sind mehr als Faktensammlungen. Die Lektüre eines ökonomischen Sachbuchs kann erhellend, bewegend, erschütternd oder hilfreich sein, für die Begegnung der Krisen unserer Zeit. Was wir aus Büchern mitnehmen, hat mit dem Buch selbst zu tun, aber eben auch immer mit uns. Gleichzeitig gibt es für die Macht in der ökonomischen Debatte durchaus Kriterien, die lohnenswert systematisch betrachtet werden können.
Sollte es uns gelungen sein, eine gute Liste zu erstellen, so hat das auch mit den vielen Gesprächen zu tun, die wir als Projektteam geführt haben. Wir bringen verschiedene Blickwinkel und Neugierden mit: Zum Beispiel die des Lernenden, der sich einen Überblick über Sachverhalte erschließen möchte, die des Professors, die Perspektive des nichtakademischen Elternhauses, die des lebenserfahrenen Philosophen, der Care-arbeitenden Mutter, die des belesenen Theoretikers, die des Fragenden, die des Dozierenden, der ungeduldigen Lösungsorientierung, die der Verzweiflung über die Krisen unserer Zeit und die der Argumentations- und Gestaltungsfreude.
Unsere Qualitätskriterien und Debatten
Neben der Frage, wie wir die Kuratierung einer Bücherliste für die Wirtschaft von morgen systematisch angehen, er- und begründeten wir auch immer wieder die Frage: Was macht unsere Lieblingsbücher zu guten Büchern? Die Auseinandersetzung mit unseren teils unbewussten Qualitätskriterien schärfte unser Denken und ermöglichte es, verschiedene Perspektiven auf die Frage: “Was braucht es für die Gestaltung einer besseren Welt?” fruchtbar zusammenzubringen.
Dabei kristallisierten sich zum Beispiel folgende drängende Interessen heraus: Unsere Liste soll zum kritischen Denken befähigen. Dafür brauchen wir gerade jene Bücher, die den Lesenden irritieren oder gar erschüttern, um einen Perspektivwechsel zu ermöglichen. Der Blick in die Vergangenheit und Theoriegeschichte kann hierfür hilfreich sein. Auf der anderen Seite gilt es, die Krisen unserer Zeit konkret zu adressieren und nicht in der Negation oder Kritik zu verharren. Eine ausgehend vor unterschiedlichen Zielen kuratierte Liste bietet uns die Möglichkeit, diese Heterogenität der Ansprüche nicht als “Aber” sondern als “Und” zu begreifen.
Angehende Gesellschaftsgestalter:innen müssen sich in aktuellen Debatten zurechtfinden, die von Diskursmacht geprägt sind. Allein vor diesem Hintergrund war für uns das Kriterium der Wirkmächtigkeit von Texten zentral. Wir suchten nach neuen Klassikern, also jenen Texten, die aktuelle Debatten prägen. Im Fundus der populären Texte suchten wir nach jenen Textjuwelen, die die Idee des Schlüsseltextes im mehrfachen Sinne. Zum einen im Sinne der Wirkmächtigkeit, als moderne Klassiker (to be) und zum anderen hinsichtlich der Befähigung zur Gestaltung der “Wirtschaft von morgen”. Dabei stellt sich die zentrale inhaltliche Frage des Wohin? Hierbei gibt uns die Vision der Hochschule für Gesellschaftsgestaltung Orientierung: Unsere Vision ist „eine nachhaltige Welt: eine lebendige und vielfältige Natur, eine solidarische und demokratische Gesellschaft sowie eine gerechte und lebensdienliche Wirtschaft. Wir suchten vor diesem Hintergrund nach Texten, die die Komplexität des Themenfeldes politische Ökonomie “entschlüsseln” und gestaltungsbefähigend sind für eine nachhaltige Ökonomie.
Eine heterodoxe Liste?
Gleichzeitig gilt: Die wirtschaftswissenschaftliche Forschung und auch die populärwissenschaftliche Literatur sind eingebettet in gegebene Machtverhältnisse und prägen diese gleichzeitig performativ. Eine Orientierung am „Mainstream“ führt zur Reproduktion dieser Machtverhältnisse und epistemischer Gewalt. Einige gesellschaftliche Gruppen, wie arme Menschen weltweit, sind systematisch benachteiligt – sowohl hinsichtlich der Aneignung von Wissen als auch im Beitragen der eigenen Perspektive. Vor diesem Hintergrund stellten wir zu Beginn unserer Recherchen fest: Bei der Auswahl von Schlüsseltexte soll explizit berücksichtigt werden, dass sowohl heterodoxen Strömungen als auch Perspektiven strukturell benachteiligter Gruppen in der Auswahl berücksichtigt werden. Die Umsetzung dieses Selbstanspruchs war jedoch herausfordernd. Die Reproduktionsspirale epistemischer Gewalt lösen wir auch in unserer Liste nicht auf, doch wir versuchen, sie möglichst zu begrenzen. In der Hauptliste Schlüsseltexte sind Autor:innen aus verschiedenen Weltregionen vertreten, ebenso typischerweise marginalisierte Perspektiven, etwa feministische. Zusätzlich bieten wir im Bereich Themenlisten eine Auswahl an Büchern an, die sich ausschließlich nichtwestlichen Perspektiven widmet.